OLG Düsseldorf: Gerichte müssen Sachverständigengutachten kritisch hinterfragen

Das OLG Düsseldorf betont: Gerichte sind verpflichtet, Sachverständigengutachten kritisch zu prüfen und deren Neutralität zu hinterfragen. Erfahren Sie, welche Anforderungen an die richterliche Kontrolle und an die Unparteilichkeit von Gutachten gestellt werden und was dies für gerichtliche Verfahre

Rechtsanwalt Juri Klein LL.M.

6/27/20252 min lesen

a red crane with a blue sky
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Praxisfall – „15.000 Euro für mangelhafte Badezimmer-Abdichtung"

Eine Bauherrin beauftragt einen Fliesenlegermeister mit der Neugestaltung ihres Badezimmers. Nach Fertigstellung rügt sie mehrere Mängel: Die vereinbarte Fugenbreite von 2 mm sei nicht eingehalten worden (tatsächlich 7-9 mm), und der gesamte Unterboden des Badezimmers sei nicht abgedichtet worden. Sie fordert 15.000 Euro Vorschuss für die Mängelbeseitigung. Das Landgericht Krefeld wies die Klage ab – doch das OLG Düsseldorf hob das Urteil auf und verwies zurück.

Wegweisende Entscheidung zur Beweiswürdigung im Baurecht

Das OLG Düsseldorf hat mit seinem Urteil vom Februar 2024 wichtige Grundsätze für die gerichtliche Beweiswürdigung bei technischen Streitfragen aufgestellt. Die Entscheidung zeigt: Gerichte dürfen sich nicht blind auf Sachverständigengutachten verlassen.

Die vier zentralen Leitsätze für die Baupraxis

Sachverständige sind keine unfehlbaren Experten

Das Gericht darf sich bei der Prüfung technischer Standards nicht auf die persönliche Auffassung eines Sachverständigen stützen. Vielmehr muss es den Sachverständigen anleiten, aussagekräftige Erkenntnisquellen zu nutzen – etwa durch:

  • Recherchen von Erfahrungswerten bei Schadensfällen

  • Erkenntnisse einschlägiger Fachkreise

  • Meinungen anderer Sachverständiger

Privatgutachten müssen ernst genommen werden

Legt eine Partei Privatgutachten vor, muss sich das Gericht sorgfältig und kritisch mit den Streitpunkten zwischen gerichtlichem und privatem Gutachten auseinandersetzen. Besonders wichtig: Das Gericht muss begründen, welchem Gutachten es den Vorzug gibt.

DIN-Normen sind nicht automatisch anerkannte Regeln der Technik

Zwar können DIN-Normen anerkannte Regeln der Technik wiedergeben, aber eine pauschale Vermutung dafür ist zweifelhaft. Grund: DIN-Normen sollen sich erst als anerkannte Regeln etablieren und sind oft das Ergebnis von Kompromissen.

Technische Unmöglichkeit schlägt Vereinbarung

Ein Vorschussanspruch besteht nicht, wenn die technische Notwendigkeit eine andere Ausführung erfordert und die Herstellung des vereinbarten Zustands unverhältnismäßig wäre.

Der konkrete Fall: Badezimmer-Abdichtung nach DIN 18534

Die Klägerin berief sich auf die DIN 18534 und argumentierte, nach den anerkannten Regeln der Technik hätten Boden und Wandflächen im Bereich der Badewanne abgedichtet werden müssen. Das Landgericht folgte dem gerichtlichen Sachverständigen, der dies verneinte.

Das Problem: Der Sachverständige traf keine begründeten Feststellungen, sondern machte nur abstrakte Ausführungen dazu, dass DIN-Normen kein Gesetz seien. Mit den Privatgutachten der Klägerin setzte sich das Gericht gar nicht auseinander.

Praktische Auswirkungen für Bauprozesse

Für Auftraggeber

  • Privatgutachten sind ein wirksames Mittel gegen einseitige gerichtliche Sachverständige

  • DIN-Normen als Argument nutzen, aber nicht auf automatische Anerkennung vertrauen

  • Detaillierte Dokumentation von Vereinbarungen und Ausführungsfehlern

Für Auftragnehmer

  • Technische Unmöglichkeit kann vereinbarte Standards überschreiben

  • Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigung als Verteidigungsargument

  • Kostenvereinbarungen dokumentieren (hier: Verzicht auf Vollabdichtung aus Kostengründen)

Fugenbreite: Wenn Vereinbarung auf Realität trifft

Im konkreten Fall war eine Fugenbreite von 2 mm vereinbart worden. Der Sachverständige stellte fest:

  • Großformatige Fliesen (600 x 600 mm) haben eine Größentoleranz von 2 mm

  • Dazu kommt eine handwerkliche Toleranz

  • Technisch notwendig sind daher mindestens 3 mm Fugenbreite

Das OLG bestätigte: Ein Vorschussanspruch für die 2-mm-Fugen besteht nicht, da technisch unmöglich und die Mängelbeseitigung unverhältnismäßig wäre.

Verfahrensstrategie: So setzen Sie Privatgutachten durch

Vorbereitung:

  • Renommierte Sachverständige beauftragen

  • Konkrete Streitpunkte zum gerichtlichen Gutachten herausarbeiten

  • Methodische Kritik an der gerichtlichen Begutachtung formulieren

Prozessführung:

  • Ausdrücklich beantragen, dass sich das Gericht mit Privatgutachten auseinandersetzt

  • Verfahrensrüge erheben, wenn Privatgutachten übergangen werden

  • Ergänzende Beweisaufnahme beantragen bei unzureichender Begutachtung