Fiktive Abnahme trotz Mängeln – Bauherren müssen konkrete Mängel benennen
Auch bei vorhandenen Baumängeln kann eine fiktive Abnahme eintreten, wenn Bauherren nicht rechtzeitig konkrete Mängel benennen. Erfahren Sie, warum eine präzise Mängelrüge entscheidend ist und welche rechtlichen Folgen drohen.
Rechtsanwalt Juri Klein, LL.M.
7/2/20253 min lesen
Praxisfall – „17.261 Euro Werklohn trotz Mängelliste"
Ein Bauunternehmen errichtet ein Einfamilienhaus für eine Privatfamilie. Ende Januar 2020 übergibt die Familie eine umfassende Mängelliste, Mitte Februar kommt ein weiterer Mangel dazu (schwarzer Strich auf der Glasinnenseite der Haustür). Zum vereinbarten Abnahmetermin am 14. Februar 2020 verweigert die Familie die Abnahme – das Haus sei nicht fertiggestellt. Auch am 11. März 2020 lehnen sie ab: Man könne nicht wissen, wie die Mängel beseitigt worden seien. Das OLG Brandenburg entschied: Die fiktive Abnahme ist eingetreten, 17.261 Euro Restwerklohn sind fällig.
Wegweisende Entscheidung zur fiktiven Abnahme nach § 640 BGB
Das OLG Brandenburg hat mit seinem Urteil vom 21. November 2024 (10 U 131/23) wichtige Klarstellungen zur fiktiven Abnahme bei Verbraucherbauverträgen getroffen. Die zentrale Botschaft: Auch bei vorhandenen Mängeln können Bauunternehmer die fiktive Abnahme durchsetzen – wenn Bauherren nicht konkret genug reagieren.
Die vier zentralen Erkenntnisse für Bauherren und Unternehmer
Fertigstellung erfordert keine Mangelfreiheit
Die Bauleistung ist fertiggestellt im Sinne von § 640 Abs. 2 BGB, wenn keine Restleistungen mehr notwendig sind. Auf Mängel – auch wesentliche – kommt es dabei nicht an. Das Werk muss nur vollständig hergestellt sein, ohne dass weitere Arbeiten erforderlich sind.
Frühere Mängelrügen reichen nicht aus
Eine fiktive Abnahme wird nicht durch vor der Fristsetzung erhobene Mängelrügenausgeschlossen. Erforderlich ist vielmehr eine konkrete Mängelrüge zwischen dem Setzen und dem Ablauf der Frist. Alte Mängellisten verlieren ihre Wirkung.
Konkrete Mängelbenennung ist zwingend erforderlich
Der Gesetzgeber wollte Besteller dazu anhalten, sich Gedanken zu machen, welche Mängel tatsächlich noch vorliegen. Pauschale Verweigerungen wie „Haus nicht fertiggestellt" oder „Mängelbeseitigung nicht nachvollziehbar" genügen nicht.
Alternative: Abnahmeverweigerung zu Unrecht
Auch nach neuem Bauvertragsrecht kann sich die Fälligkeit des Werklohns daraus ergeben, dass der Besteller die Abnahme endgültig und ernsthaft zu Unrecht verweigert hat. Bei nur unwesentlichen Mängeln ist der Bauherr zur Abnahme verpflichtet.
Rechtlicher Hintergrund: § 640 Abs. 2 BGB im Detail
Voraussetzungen der fiktiven Abnahme
Nach § 640 Abs. 2 BGB gilt das Werk als abgenommen, wenn:
Der Unternehmer dem Besteller nach Fertigstellung eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat
Der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat
Bei Verbrauchern: Textform-Hinweis auf die Rechtsfolge erfolgt ist
Abgrenzung zur Abnahmereife
Die Fertigstellung nach § 640 Abs. 2 BGB ist nicht identisch mit der Abnahmereife nach § 640 Abs. 1 BGB. Für die fiktive Abnahme genügt es, wenn das Werk vollständig erstellt ist – Mängel hindern sie nicht.
Der konkrete Fall: Warum die Abnahmeverweigerung scheiterte
Chronologie der Ereignisse
23. Januar 2020: Bauherren übersenden umfassende Mängelliste
5. Februar 2020: Bauunternehmen kündigt Mängelbeseitigung bis 14. Februar an
10. Februar 2020: Zusätzlicher Mangel gemeldet (Haustür)
12. Februar 2020: Fristsetzung zur Abnahme mit Textform-Hinweis
14. Februar 2020: Abnahmeverweigerung „Haus nicht fertiggestellt"
11. März 2020: Erneute Verweigerung „Mängelbeseitigung nicht nachvollziehbar"
OLG-Bewertung: Formale Anforderungen nicht erfüllt
Das Gericht sah die Abnahmeverweigerungen als unzureichend an, weil:
Keine konkrete Mängelbenennung zwischen Fristsetzung und Fristablauf
Pauschale Hinweise auf Nichtfertigstellung genügen nicht
Das Interesse der Klarheit erfordert erneute Mängelbenennung
Bauunternehmen hatte Mängelbeseitigung angekündigt
Praktische Auswirkungen für Bauherren
Richtige Reaktion auf Abnahmeaufforderung
Sofortige schriftliche Antwort innerhalb der gesetzten Frist
Mindestens einen konkreten Mangel benennen
Detaillierte Beschreibung des Mangels und seiner Lage
Fotodokumentation zur Beweissicherung beifügen
Fehler vermeiden bei Abnahmeverweigerung
Nicht nur pauschal verweigern („nicht fertiggestellt", „mangelhaft")
Alte Mängellisten reichen nicht aus
Unkonkrete Hinweise auf Mängelbeseitigung sind unzureichend
Fristversäumnis führt automatisch zur fiktiven Abnahme
Praktische Auswirkungen für Bauunternehmer
Strategische Fristsetzung nutzen
Angemessene Frist setzen (meist 2-3 Wochen)
Textform-Hinweis bei Verbrauchern zwingend erforderlich
Mängelbeseitigung vor Fristsetzung ankündigen
Dokumentation aller Kommunikation für Prozess
Alternative Durchsetzungswege
Abnahmeverweigerung zu Unrecht bei nur unwesentlichen Mängeln
Sofortige Werklohnklage ohne Abnahme möglich
Beweislast für wesentliche Mängel liegt beim Bauherren
Kostenersparnis gegenüber Abnahmeklage
Vertragsgestaltung: Risiken für beide Seiten minimieren
Für Bauunternehmer
Klare Abnahmeregelungen im Bauvertrag vereinbaren
Musterformulare für Fristsetzung vorbereiten
Mängelbeseitigung systematisch dokumentieren
Rechtliche Beratung bei größeren Projekten
Für Bauherren
Baubegleitende Qualitätskontrolle durch Sachverständigen
Mängellisten kontinuierlich aktualisieren
Rechtliche Beratung vor Abnahmeverweigerung
Vertragsklauseln zu Abnahmefristen prüfen lassen
Abgrenzung: Wann ist Abnahmeverweigerung berechtigt?
Wesentliche Mängel berechtigen zur Verweigerung
Sicherheitsrelevante Mängel (Statik, Brandschutz)
Funktionsbeeinträchtigungen (Heizung, Sanitär)
Erhebliche optische Mängel bei Sichtflächen
Kostenaufwand über 200-500 Euro pro Mangel
Unwesentliche Mängel rechtfertigen keine Verweigerung
Kleinere Schönheitsfehler (Kratzer, kleine Flecken)
Geringfügige Maßabweichungen ohne Funktionsbeeinträchtigung
Leicht behebbare Mängel unter 200 Euro Reparaturkosten
Nachbesserungen an nicht sichtbaren Stellen
Verfahrenstaktik bei Abnahmestreitigkeiten
Für Bauherren bei drohender fiktiver Abnahme
Einstweilige Verfügung gegen Werklohnforderung erwägen
Sachverständigengutachten zur Mängeldokumentation
Detaillierte Mängelliste mit Kostenangaben erstellen
Rechtsbeistand frühzeitig einschalten
Für Bauunternehmer bei Abnahmeverweigerung
Fristsetzung formal korrekt durchführen
Mängelbeseitigung vor Fristsetzung anbieten
Dokumentation aller Arbeiten und Kommunikation
Werklohnklage bei fiktiver Abnahme oder Verweigerung zu Unrecht
Grenzen der Entscheidung
Nur bei Verbraucherbauverträgen
Das Urteil betrifft Verbraucherbauverträge nach § 650i BGB. Bei gewerblichen Auftraggebernkönnen andere Maßstäbe gelten, insbesondere strengere Anforderungen an die Mängelbenennung.
Checkliste: Abnahme richtig durchführen
Für Bauherren:
Baubegleitende Kontrolle durch Sachverständigen
Mängelliste kontinuierlich führen und aktualisieren
Bei Abnahmeaufforderung: konkrete Mängel binnen Frist benennen
Rechtliche Beratung bei wesentlichen Mängeln
Für Bauunternehmer:
Fertigstellung vollständig dokumentieren
Fristsetzung mit korrektem Textform-Hinweis
Mängelbeseitigung vor Abnahmeaufforderung anbieten
Alternative Durchsetzungswege (Verweigerung zu Unrecht) prüfen
Unser Angebot: Abnahmeberatung für Bauvorhaben
Vermeiden Sie teure Rechtsstreitigkeiten durch professionelle Abnahmebegleitung.
Leistungspaket Abnahme-Beratung:
Rechtliche Bewertung von Mängellisten und Abnahmeverweigerungen
Formulierung korrekter Fristsetzungen zur Abnahme
Strategische Beratung bei Abnahmestreitigkeiten
Durchsetzung oder Abwehr von Werklohnansprüchen