Härtefallwiderspruch bei Eigenbedarf – Neue Maßstäbe für den Nachweis gesundheitlicher Härtegründe
BGH-Urteil April 2025: Härtefallwiderspruch gegen Eigenbedarfskündigung auch ohne fachärztliches Attest möglich – qualifizierte Stellungnahme eines Therapeuten reicht aus, wenn sie fundiert und aussagekräftig ist. Alle wichtigen Voraussetzungen, Praxisfolgen und rechtlichen Hintergründe kompakt erklärt
Rechtsanwalt Juri Klein, LL.M.
7/19/20252 min lesen
Am 16. April 2025 hat der Bundesgerichtshof (VIII ZR 270/22) entscheidend zur Beweisführung von gesundheitlichen Härten beim Widerspruch gegen eine Eigenbedarfskündigung Stellung genommen. Zentrales Thema des Urteils: Wann genügt ein Attest den Anforderungen – und müssen es immer fachärztliche Bescheinigungen sein? Das Urteil hat weitreichende Bedeutung für Mieter, Vermieter und die rechtliche Beratung im Mietrecht.
Wesentliche Feststellungen des BGH
Fachärztliches Attest nicht zwingend erforderlich: Nicht immer ist ein ausführliches Attest eines Facharztes notwendig, um einen Härtefall nach § 574 BGB zu substanziieren. Es genügt, wenn eine qualifizierte medizinische Stellungnahme eines in Bezug auf das Beschwerdebild hinreichend ausgebildeten Behandlers vorgelegt wird – beispielsweise eines approbierten Psychotherapeuten oder Psychoanalytikers nach dem Heilpraktikergesetz.
Inhaltliche Qualität im Vordergrund: Entscheidend ist nicht die formale Qualifikation des Attestanten, sondern die inhaltliche Substanz der Stellungnahme. Diese muss detailliert darlegen, welche Krankheit vorliegt, welchen Verlauf sie nimmt und welche gravierenden Folgen ein Umzug haben würde.
Gesamtschau und gerichtliche Aufklärungspflicht: Die Gerichte dürfen sich bei gesundheitlich begründeten Härtefällen nicht pauschal auf die fehlende Berufsbezeichnung des Attestanten zurückziehen, sondern müssen alle konkreten Umstände prüfen und ggf. ein Sachverständigengutachten einholen.
Kein pauschaler Ausschluss späterer Nachweise: Ergänzende oder vertiefende Unterlagen zu gesundheitlichen Härten dürfen auch noch spät im Prozess eingereicht werden, sofern sie bereits dargestellte gesundheitliche Risiken weiter konkretisieren.
FAQ zum BGH-Urteil – Häufige Fragen verständlich beantwortet
Muss der Mieter zwingend ein Attest eines Facharztes vorlegen?
Nein, laut BGH reicht auch eine ausführliche und inhaltlich überzeugende Stellungnahme eines entsprechend qualifizierten nichtärztlichen Behandlers aus, wenn diese die gesundheitlichen Risiken nachvollziehbar begründet.
Was sollte eine ärztliche oder therapeutische Stellungnahme enthalten?
Ausführungen zur konkreten Krankheit des Mieters, Angaben zur bisherigen Behandlung und vor allem eine Einschätzung, wie sich ein Umzug auf die Gesundheit und das Krankheitsbild auswirken würde.
Wie prüft das Gericht den Härtefalleinwand?
Das Gericht muss alle vorgelegten medizinischen Nachweise prüfen und – sofern eigene Sachkunde fehlt – ein Sachverständigengutachten zu den prognostizierten gesundheitlichen Folgen eines Umzugs einholen.
Wann kann der Mieter erfolgreich Härte geltend machen?
Immer dann, wenn nach medizinischer Einschätzung die Zwangsräumung eine erhebliche Gefährdung der physischen oder psychischen Gesundheit darstellt, z.B. schwerwiegende Krankheitsverschlechterung, Suizidgefahr oder den drohenden Verlust der Heilungsprognose.
Praxistipps für Mieter, Behandler und Vermieter
Für Mieter empfiehlt sich eine möglichst detaillierte, auf die eigene Situation zugeschnittene medizinische Stellungnahme – idealerweise mit Prognose zu den Folgen eines Umzugs.
Behandler sollten konkret Bezug zu Therapiefortschritt und Gesundheitsrisiken durch den Wohnverlust nehmen.
Vermieter sind gut beraten, Härtefalleinwände differenziert zu prüfen und bei Zweifeln medizinische Sachverständige hinzuzuziehen.
Bedeutung für das Mietrecht
Dieses Urteil stärkt besonders schutzbedürftige Mieter und verleiht dem gerichtlichen Verfahren mehr Flexibilität und Sachnähe. Die inhaltliche Substanz medizinischer Stellungnahmen steht künftig im Vordergrund – nicht Berufstitel oder formale Attestvorgaben. So wird der Gesundheitsschutz im Zentrum des Kündigungsschutzrechts weiter gestärkt.